Mechaniken

Neben der beim heutigen Konzertflügel gespielten und seit der Wende zum 20.Jahrhundert populären und prinzipiell seitdem unverändert gebauten Doppelrepetitionsmechanik, die als Verkaufsargument und Qualitätsmerkmal heute oft Rennermechanik genannt wird, gab es eine Vielzahl anderer Konstruktionen, die im Zeitraum von ca. 1800 bis 1900 um die Gunst der Pianisten buhlten. Zu nennen sind hier vor allem die Prellmechanik, auch Wiener Mechanik genannt, die einfache Stoßzungenmechanik, auch als Englische Mechanik bezeichnet, die hängende Stoßzungenmechanik, hier vor allem die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zur großen Freude der Spieler gefertigte Blüthnersche Patentmechanik, und die oberschlägigen Mechaniken, um deren Perfektion sich vornehmlich Herr Theodor Stöcker aus Berlin verdient gemacht hat.
Sie finden hier Bilder zu verschiedenen Mechaniktypen, die Hand in Hand mit etwas Phantasie und physikalischer Vorstellungskraft das Wirkprinzip sowie die jeweiligen Vor- und Nachteile der einzelnen Mechaniken zu erhellen versuchen.
Kommen wir zuerst zu den Doppelrepetitionsmechaniken.

1. Erard Mechanik – die doppelte Auslösung

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1821 von Sebastien Erard erstmalig gefertigt und 1826 in Paris patentiert, vollführte sie einen Siegeszug durch die Klavierwelt, gerühmt durch fast alle Virtuosen dieser Zeit, die wie Clara Schumann anfänglich zwar die etwas schwerere Gangart bemängelten, sich aber schon bald durch die enorme Dynamik der einzelnen Töne durch sehr hohe Anschlagsgeschwindigkeiten der Hämmer an die Saiten wie auch die Schnelligkeit der Tonwiederholungen überzeugt sahen. Das eigentliche Verdienst Erards mit dieser Mechanik bestand darin, dass man als Spieler die Taste nur halb wieder in die Ruhelage nach einem Anschlag zurückkehren lassen musste, um erneut einen Ton erzeugen zu können. Erard erreichte dies durch einen recht kompliziert anmutenden Repetierschenkel, auf welchem das Oberglied bestehend aus Stiel, Röllchen und Hammer zu liegen kam, wodurch beim leichten Loslassen der Taste, der untere für die Aktion verantwortliche Teil, die Stoßzunge, ungehindert wieder in die anschlagsbereite Position unter dem Röllchen zurückkehren konnte. Das Hebeglied ist im Gegensatz zur Stoßzungenmechanik also für seine beiden Aufgaben geteilt worden, einerseits für die Anschlagsbewegung, andererseits für das Rückführen in die repetitionsbereite Position nach dem Entkoppeln der Aufwärtsbewegung. Heute werden alle Flügel mit kleineren eher kosmetisch anmutenden Abänderungen mit dieser Mechanik gebaut.
Für den Restaurator bieten Erards Instrumente zwei einzigartige Vorteile: Zum einen lässt sich anhand des, gemessen am heutigen, großen Hebegliedes viel über die Physik des Klanges und die Beziehung zur Regulation an diesen Instrumenten erlernen, zum anderen ist es für viele Pianisten, die nur mit dem modernen Instrument vertraut sind, der einfachste Weg des Einstieges in die Klangwelt des Piano romantique, ist doch die Mechanik, also das Tastengefühl fast identisch mit modernen Instrumenten.

2. Doppelrepetitionsmechanik von Henri Hertz

Hertz war in Paris der 40er Jahre einer der bekanntesten Klaviervirtuosen und mit seiner 1851 gegründeten Firma gleichen Namens zusammen mit Pleyel der wichtigste Konkurrent für Erard. Da sich Hertz sehr für Klavierbau interessierte und der Mechanik im Besonderen vermehrte Aufmerksamkeit widmete, erhielt er von Erard die Erlaubnis zur Fertigung einer etwas modifizierten Erardmechanik. Er veränderte die Repetitionsfeder, die sich bei Erard nur mit großer Mühe einstellen lässt, was zu einer etwas verbesserten Nuancierung des Anschlages führte. Vor Hertz sind nur noch sehr wenige Instrumente erhalten, welche aber durch eine ausgezeichnete Spielbarkeit glänzen und durch einen für französische Instrumente eher untypisch mächtigen  warmen Bass beeindrucken.

3. Stoßzungenmechaniken

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Entgegen dem schlechten Ruf der englischen Mechaniken oder Mechaniken mit einfacher Repetition halte ich sie für etwas ganz Eigenes und hinsichtlich der Differenzierbarkeit der Lautstärken im Spiel Einzigartiges; zugegebenermaßen kosten sie Nerven bei der Restaurierung und Regulierung, beileibe nicht soviel wie Stöckers Oberschläger jedoch. Und gewiß, sie spielen sich immer etwas schwerer aufgrund der höheren Reibung der Mechanik in sich, aber auf keinem Flügel kann man so leise hauchen wie auf einem frühen Pleyel. Ich möchte also eine Stoßzunge brechen für die englische Mechanik
Der geographische Beiname leitet sich aus der Bevorzugung des Stoßzungenprinzips, mit dem in seiner Urform schon der erste Hammerflügel von Christofori ausgestattet war, im angelsächsischen Sprachraum gegenüber der Präferenz der Prellmechanik vor allem im süddeutschen und österreichischen Gebiet her.
Das Wirkprinzip ist einfach und dem des aufrecht stehenden Klavieres sehr verwandt: Eine auf der Taste befestigte Stoßzunge drückt bei Bewegen der Taste nach unten in gegenläufiger Manier nach oben gegen eine belederte Nase, die sich am Hammerstiel befindet. Der am anderen Ende des Hammerstieles befestigte Hammer wird so nach oben gen Saiten gedrückt. Kurz vor der Saite endet die Bewegung dadurch, dass die Stoßzunge durch einen verstellbaren Anschlag, die Auslösepuppe, gezwungen wird, sich aus der Nase heraus zu bewegen und so den Hammer wieder nach unten in die Ruhelage fallen zu lassen; die Aufwärtsbewegung ist mechanisch entkoppelt. Nun muß die Stoßzunge durch das Loslassen der Taste erst wieder mühsam unter die Nase gleiten, was erst bei vollständiger Rückkehr der Taste in die Ruhelage geschieht, um einen erneuten Anschlag desselben Hammers zu ermöglichen. Diesen Vorgang nennt man Repetition, und es ist leicht ersichtlich, weshalb diese Mechanikform unterlag, denn erstens ist die Anschlagsdynamik geringer und zweitens, der wichtigste Grund, die Repetition ist langsamer, wie bei einem gut regulierten Klavier schafft ein versierter Pianist hier höchstens 8 Anschläge desselben Tones pro Sekunde, was wesentlich über der Frequenz eines schlacht regulierten modernen Flügels oder den Möglichkeiten eines minder Geübten liegt, aber in einer Zeit des Konjunktivs ist dies denn doch das Argument, was die fehlende Auseinandersetzung mit diesen Instrumenten begründet. Daß selbst der sicher größte aller Pianisten, Franz Liszt, die meiste Zeit seines Lebens Stoßzungenmechaniken gespielt hat, und dass aller Wahrscheinlichkeit nach, ohne sein Publikum ob seiner Langsamkeit zum Gähnen zu bringen, wird geflissentlich übersehen und ein fernöstliches Produkt ob seines Mechaniknamens bevorzugt, bon appetit!

4. Die Wiener Mechanik oder Prellmachanik

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Von Andreas Stein in Wien erfunden war diese Form über ein Jahrhundert lang im österreichischen und deutschen Raum favorisiert, kam sie doch den Erwartungen an Lichtgängigkeit und damit Schnelligkeit des Spiels in hohem Maße nach. Außerdem klingen gerade die frühen Wiener Flügel mit den kleinen belederten Hämmern sehr hell, transparent und obertonreich, halt wienerisch, charmant und kammermusikalisch.
Im Vergleich zu den Repetitionsmechaniken ist der Hammer fest mit der Taste verbunden – in jener ist die Kapsel mit der Achse des Hammerstieles auf einem von der Taste unabhängigen eigenen Balken fixiert. Die Prellmechanik heißt so, weil der verglichen mit der Stoßzungenmechanik umgekehrt stehende Hammerstiel beim Spiel mit dem Tastenende angehoben wird, da er sich in einer Messingkapsel dort befestigt ist und mit dem hinteren über die Taste hinausragenden Ende gegen eine Leiste prallt, dort mit einer befilzten Nase hängen bleibt und somit das vordere, den Hammer tragende Ende des Hammerstieles nach oben geschleudert wird. Dabei beschreibt der Hammer eine Kreisbewegung und trifft die Saiten nicht annähernd rechtwinklig wie bei den Stoßzungenmechaniken, sondern streicht an ihnen entlang. Das ist der Grund, weshalb die Hämmer über den Filzschichten immer eine Schicht weichen Leders zum Schutz vor dem Einschneiden der Saiten haben, was wiederum dem Obertonreichtum der Wiener Instrumente zugute kommt.
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatten die Wiener Hammerflügel ihre größte Zeit, die Instrumente von Conrad Graf, Andreas Stein, Nanette und Jean-Baptiste Streicher, Bösendorfer setzten bis in die 1830er Jahre Maßstäbe im Instrumentenbau. Wenn auch Wiener Mechaniken bis in die ersten Decaden des 20. Jahrhunderts gebaut wurden und ihrer kammermusikalischen Vorteile wegen geschätzt wurden, waren sie doch in Dynamik, Grundtönigkeit und vor allem der spieltechnischen Verläßlichkeit den Repetitionsmechaniken spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts unterlegen. Man versuchte dem zu begegnen, indem die Hämmer und Stiele schwerer wurden, die Spieltiefe sich den heutigen 10mm annäherte, alles Entwicklungen, die den eigentlichen Vorzügen der Wiener Instrumente mit ihrer hellen schwebenden Charakteristik zuwider liefen.

5. Die oberschlägige Mechanik

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Schon bald nach der Erfindung des Klavieres gab es die Idee der Oberschlägigkeit, man verzeihe mir das Wortmonstrum! Eine Aktion der Hämmer also von oben, die die Hämmer die Saiten zum Resonanzboden und den Stegen hin statt von ihnen weg schlagen lässt, bringt mehrere Vorteile mit sich, die Begrenzung der klingenden Saitenlänge ist durch das fehlende Abheben der Saiten aus den Stegschränkungen immer fix und damit das Anschwingverhalten der Saite reiner und somit die Trennschärfe bei paradoxerweise höherer Homogenität des Gesamtklanges größer, aus dem gleichen Grunde und der geringeren Reibungsverluste wegen dynamischer und von größerem Volumen. Hinzu kommt, dass ein Konzertflügel mit den großen klingenden Saitenlängen und enormer Resonanzbodenfläche wesentlich kürzer gebaut werden kann, da man den Resonanzboden und die Anschlagspunkte bis an die Vorderkante des Instrumentes verlagern kann, man benötigt ja keine Öffnung für den Durchtritt der Hämmer wie bei konventionellen Mechaniken.
Dennoch überwiegen zumindest für eine Massenproduktion die Nachteile: Da die Mechanik nicht wie gewöhnlich gegen die Schwerkraft arbeitet, sondern mit ihr, ist ein Federmechanismus vonnöten, der die Hämmer entgegen der Gravitation wieder in die Ruhelage befördert.